„Den Menschen die Felder, den Wilden die Wälder!“
Landläufig wird so zusammengefasst, was seit den frühen Tagen des Königreichs die Beziehung mit den fremden Rassen im Königreich prägt. Dabei spricht man landläufig vom Alten Pakt oder vom Orkenpakt, aber in seiner Prägung finden die im Pakt enthaltenen Grundsätze auch Anwendung auf andere Wildrassen, als da um Beispiel wären die Elben und die Echsen, wobei erstere am Begriff der „Wilden“ wohl Anstoß nähmen und zweitere wohl mehr Interesse an den Sümpfen und Mooren haben als an den Wäldern.
Es sollte bei der Bewertung des Zusammenlebens mit den alten Rassen und ihren Ansiedlungen beachtet werden, dass die Krone Galladoorns keinen (legitimen) Anspruch auf die Gefolgschaft erhebt, die Orken und die Echsen also ebenso autonom leben wie es die Zwerge tief unter dem Reich oder die Elbenstämme im Mittenwald und den dornengrunder Wäldern tun, auch wenn sie auf -oder unter- galladoorner Boden hausen. Sie schulden der Krone weder Gefolgschaft noch Zehnt auf Grund und Boden, auf der anderen Seite haben sie „per se“ erst einmal keinen Anspruch auf Schutz oder Hilfe bei Notlage und Gefahr, sehr wohl gibt es jedoch auf der Ebene der Provinzherren einzelne Vereinbarungen und Bündnisse, die das Zusammenleben genauer regeln. Man lebt nebeneinanderher, jeder kümmert sich in seiner Ecke um seine eigenen Belange, und alle sind damit erst einmal zufrieden.
In der Jugend Galladoorns, als die Menschen ihre Siedlungen vergrößerten, Wälder rodeten und die Sümpfe und Moore erkundeten und urbar machten, da trafen sie immer wieder auf Stämme der alten Völker, die der steten Expansion der menschlichen Siedlungen wenig abgewinnen konnten oder sich von Vertreibung bedroht sahen und in ihrem Unmut auch nicht davor zurückschreckten, derlei Eindringen mit brutalster Gewalt und Krieg zu beantworten. Auf der anderen Seite kam es auch immer wieder zu nächtlichen Beutezügen der Orken gegen menschliche Siedlungen und Weiler, bei denen hemmungslos gemordet, geplündert und gebrandschatzt wurde, wer hätte sie nicht noch im Ohr, die zahlreichen Erzählungen in den Tavernen der Mittellande, in denen davon berichtet wird, die Eltern wären von Orks ermordet worden. Mit dem Alten Pakt geht es um den Versuch, eine belastbare, rote Linie zu definieren, die das ständige Blutvergießen der frühen Tage im Reich zwischen den „zivilisierten“ Galladoornern, primär eben den Menschen als dominante Rasse, und den sonstigen Rassen in den Wäldern und abgelegeneren Winkeln Galladoorns wirksam unterbindet.
Um der letztlich für beide Seiten aufreibenden Gewaltspirale mit jeweils wechselseitigen Strafexpeditionen und Überfällen zu entkommen bildete sich schließlich ein brüchiger Waffenstillstand heraus, denn die Menschen begannen, bestimmte Gebiete zu meiden und von einer Besiedlung oder sonstigen Nutzung abzusehen, und die Orken sahen im Gegenzug davon ab, die Menschen in „ihren“ Siedlungen zu überfallen, jeder bleibt für sich auf seinem Flecken Galladoorn und dann muss auch keiner dem anderen die Ohren abschneiden oder die Zunge kürzen. Ob es hierbei wirklich Begebenheiten gab, bei denen die Stammesführer der Wilden und die jeweiligen Könige Galladoorns tatsächlich aufeinandertrafen und den Pakt durch Handschlag oder sonstigen Akt legitimierten, ist im Dunkel der Zeit verloren gegangen, jedoch wird auch in alten Schriftstücken kurz nach dem Fall der Schatten bereits auf die Begebenheit des Alten Pakts hingewiesen.
Der Pakt hat, spätestens seit dem erbnachter Frieden und den Scharmützeln in Tron und Waldbrunn, nunmehr seit vielen Jahren Bestand, eine Sorge weniger, um die sich die Provinzherren und die Ritterschaft zu kümmern haben. Treibt es die Orks aus dem Wald, so hat dies in der Regel triftige Gründe, zum Beispiel weil es gilt, tatsächliche oder empfundene Verletzungen gegen die Koexistenz der Rassen zu vergelten. Oft genug, so muss man leider feststellen, liegt im Kern einer solchen Gewalttat ein triftiger Grund, sei es, weil doch Menschen mit finsterer Absicht in die Wälder der Orks eingedrungen sind, um dort ihren unlauteren Bestrebungen nachzukommen, sei es, dass die orkischen Krieger mit Lüge und falschem Spiel zum Krieg gegen die menschliche Obrigkeit angestachelt wurden. Andersherum sagt der gesunde Menschenverstand, dass es gefährlich und keinesfalls ratsam ist, unbedarft und ohne triftigen Grund und ohne Aufforderung der Wilden Stämme in deren Gebiete einzudringen, und kaum ein Vertreter der Obrigkeit wird versuchen, die Orks seines Lehens dafür zu bestrafen, dass sie mit einem Eindringling kurzen, roten Prozess gemacht haben. Wer auf dem Gebiet der Wilden zu Schaden kommt, der sollte sich nicht wundern und kann wenig Mitleid erwarten, eher ein „hab ich dir gleich gesagt, dass es eine schlechte Idee war…“.
Seit nunmehr die Dame von Eismond die Verwaltung von Erbnacht zunächst als Kronvögtin und seit dem Jahr 23 Viviane als Baronin fest in der Hand hat, wurde zumindest für die erbnachter Lande ein weiterer Schritt gewagt. So gibt es mit den drei in Erbnacht ansässigen Orkstämmen einen friedlicheren Umgang als an manch anderem Ort des Königreichs. Obwohl Orks und Menschen trotzdem zumeist auf ihren eigenen Gebieten bleiben, zollt man sich bei den gelegentlichen Begegnungen gegenseitig Respekt oder lässt sich zumindest in Ruhe. Schon aus eigenem Interesse verfolgen die Orks auch das Geschehen in der Provinz und an ihren Grenzen, und wenn nötig so stehen auch sie für ihre Heimat ein. Es soll in einem Dorf namens Grünweiler, so berichten verwunderte Reisende, sogar einen Handelsplatz geben, an dem die Orks bisweilen ihre Jagdbeute oder Pelze gegen die Güter der Menschen tauschen können, ohne befürchten zu müssen, mit Mistgabeln und Knüppeln empfangen zu werden. Ob dieses Experiment mittelfristig Früchte trägt, und ob andere Provinzen sich am mutigen Vorstoß der Baronin von Erbnacht ein Beispiel nehmen, die Zeit wird es zeigen…